An das
Bundesministerium für Arbeit,
Soziales und Konsumentenschutz
Wien, 29. Oktober 2014
Betrifft: GZ: BMASK-40101/0018-IV/B/4/2014
Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das
Bundespflegegeldgesetz geändert wird
Stellungnahme
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der KOBV Österreich erlaubt sich, zu o.g. Entwurf nachstehende Stellungnahme zu erstatten:
In den Erläuterungen wird darauf verwiesen, dass, wie im Regierungsprogramm für die XXV. Gesetzgebungsperiode vorgesehen und von der Reformarbeitsgruppe Pflegegeld empfohlen wurde, das Pflegegeld und der Pflegefonds als zentrale Säulen der Pflegefinanzierung durch den Bund beibehalten und weiterentwickelt werden sollen. Diesem Vorhaben und dieser Empfehlung wird der vorliegende Entwurf in keiner Weise gerecht.
Im Vorblatt wird als Ziel ausdrücklich die Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung des Pflegevorsorgesystems angeführt, als Vorhaben, um dieses Ziel zu erreichen, wird einzig und allein die Neudefinition der Zugangskriterien für die Pflegegeldstufen 1 und 2 genannt. Vorgesehen ist, die Zugangskriterien in den Pflegegeldstufen 1 und 2 dahingehend zu ändern, dass jenen Personen, die ab 1.1.2015 einen Antrag auf Gewährung oder Erhöhung eines Pflegegeldes stellen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen künftig ein Pflegegeld der Stufe 1 bei einem durchschnittlichen Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden (derzeit seit 1.1.2011 mehr als 60 Stunden, bis 31.12.2010 mehr als 50 Stunden) und ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 bei einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von mehr als 95 Stunden (derzeit seit 1.1.2011 mehr als 85 Stunden, bis 31.10.2010 mehr als 75 Stunden) gewährt werden soll.
Diese neuerliche Erschwerung der Zugangsbestimmungen für Pflegegeldbezieher der Stufen 1 und 2 stellt eine massive Belastung für pflegebedürftige Menschen dar und ist keinesfalls eine geeignete und schon gar keine sozial vertretbare Maßnahmezur Budgetkonsolidierung und trägt in keiner Weise zur nachhaltigen finanziellen Absicherung des Pflegegeldsystems bei. Diese vorgesehenen Einsparungen auf dem Rücken von Menschen mit Behinderungen werden ausdrücklich abgelehnt.
Durch die jahrelange Nichtvalorisierung der Pflegegelder ist es ohnehin bereits zu einer starken realen Abwertung der Pflegegeldbeträge gekommen, die in Verbindung mit anderen Kostensteigerungen v.a. am Gesundheitssektor dazu geführt hat, dass Pflege für viele Betroffenen schon jetzt nicht mehr leistbar ist. Durch die nunmehr vorgesehene Erschwerung der Zugangskriterien werden pflegebedürftige Personen zusätzlich massiv belastet. Wie Studien belegen, gehören BezieherInnen von Pflegegeld überwiegend den untersten Einkommensschichten an, und bedeutet das geplante Gesetzesvorhaben einen weiteren Schritt in Richtung Armutsfalle für Pflegedürftige und einen weiteren Schritt gegen ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben pflegebedürftiger Personen.
Durch die geplanten Maßnahmen werden insbesondere auch pflegebedürftige Kinder, deren Einstufung in der Praxis auf Grund der geltenden Einstufungskriterien ohnehin nicht zufriedenstellend erfolgt, getroffen, was für Familien mit pflegebedürftigen Kindern eine weitere Existenzbedrohung darstellt.
Nicht außer Acht zu lassen ist, dass auch zahlreiche Förderungen (wie z.B. Fahrpreisermäßigung, Zuschüsse für Sachleistungen u.a.) vom Bezug des Pflegegeldes abhängen. Durch den erschwerten Zugang zum Pflegegeld würden auch diese Förderungen nicht anfallen, was eine weitere Belastung und Existenzbedrohung für pflegebedürftige Menschen darstellt.
Wenn in den Erläuterungen Einschnitte bei den Pflegestufen 1 und 2 damit gerechtfertigt werden, dass in den unteren Pflegegeldstufen professionelle Dienste in geringerem Ausmaß in Anspruch genommen werden, sodass es unter diesem Aspekt vertretbar wäre, dass geringer pflegebedürftigen Menschen weniger Pflegegeld zur Verfügung stehe, so lässt sich grundsätzlich aus diesen Ausführungen die Tendenz erkennen, dem Sachleistungsprinzip den Vorzug zu geben. Um derartigen Entwicklungen von vornherein Einhalt zu gebieten, weist der KOBV Österreich ausdrücklich darauf hin, dass das dem Pflegegeldrecht immanente Geldleistungsprinzip jedenfalls erhalten bleiben muss. Nur auf diesem Wege kann man dem Zweck des Pflegegeldgesetzes und den Intentionen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, pflegebedürftigen Personen ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu ermöglichen, gerecht werden. Darüber hinaus wird in keiner Weise berücksichtigt, dass professionelle Dienste – wie bereits ausgeführt – für viele Pflegebedürftige tatsächlich nicht mehr leistbar sind.
Mit diesen Ausführungen wird auch ein falsches Signal für die in Österreich unentbehrliche Pflege durch nahe Angehörige gesetzt, die nach wie vor 80 % der pflegerischen Leistungen ausmacht und ohne deren maßgeblichen Beitrag das Pflegesystem in Österreich nicht aufrecht zu erhalten wäre. Die Pflege und Betreuung durch Angehörige wird im Entwurf daher auch als zweite essentielle Säule bezeichnet. Die im Entwurf enthaltenen Verbesserungen für pflegende Angehörige (Hausbesuche auch auf Wunsch des Pflegebedürftigen oder seiner betreuenden Angehörigen, das Angebot von Unterstützungsgesprächen und die Verbesserung des Online-Informationsangebotes) sind zwar grundsätzlich zu begrüßen, führen jedoch zu keiner wesentlichen aber dringend erforderlichen Entlastung pflegender Angehöriger, die im Interesse der Pflege und Betreuung ihrer pflegebedürftigen Angehörigen finanzielle Einbußen und Einschränkungen im sozialen Leben in Kauf nehmen und sowohl physisch als auch psychisch belastet sind.
Die im Entwurf vorgesehene Valorisierung des Pflegegeldes in allen Pflegegeldstufen um 2 % ab 1.1.2016 ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, wenngleich anzumerken ist, dass diese Anhebung nicht geeignet ist, die Entwertung der Pflegegelder der vergangenen Jahre auszugleichen. Die langjährige Nichtvalorisierung der Pflegegelder hat zu einer realen Entwertung der Pflegegelder geführt und in Verbindung mit den Kostensteigerungen im Pflegebereich bewirkt, dass Pflegedienste für viele Betroffene derzeit nicht mehr leistbar sind.
Es ist jedoch ein besonderer Zynismus, wenn man vorher (bereits 2015) Kostendämpfungsmaßnahmen in Form der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen einführt und damit eine Vielzahl von Pflegebedürftigen von den Leistungen von vornherein ausschließt bzw. Erhöhungen erschwert und im Folgejahr eine kleine und offensichtlich einmalige Valorisierung vorsieht. Konkret ist der Darstellung der finanziellen Auswirkungen zu entnehmen, dass die Valorisierung im Jahr 2016 rund 49,7 Mio Euro kosten wird, die Einsparungen in diesem Jahr rund 57,3 Mio Euro bringen werden. Es wäre somit durch die Erschwerung der Zugangskriterien für pflegebedürftige Menschen bereits im Jahr 2016 eine verbleibende Einsparung trotz Valorisierung in Höhe von rund 7,6 Mio Euro gegeben. Dem ganzen wird dann noch die Krone aufgesetzt, wenn im Entwurf festgehalten wird, dass die Valorisierung der Pflegegeldbeträge zu Mehreinnahmen bei den sozialen Diensten und zu einer Entlastung der Länderbudgets führt. Die Valorisierung dient somit auch den Länderbudgets, die Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen hilft dem Bundesbudget. Pflegebedürftige Menschen tragen somit im doppelten Sinne zur Haushaltssanierung bei.
Das 1993 in Österreich eingeführte System der Pflegevorsorge hat sich grundsätzlich bewährt. Es ist unbestritten, dass die demografische Entwicklung der kommenden Jahre das gesamte System der Pflegevorsorge vor enorme finanzielle Herausforderungen stellen wird, um das hohe Niveau der Pflegevorsorge in Österreich auch in Zukunft zu gewährleisten und längerfristig und nachhaltig auch die Finanzierung des Gesamtsystems zu sichern. Seit Jahren fordert der KOBV Österreich, wie auch die ÖAR-Dachorganisation der österreichischen Behindertenverbände und andere Interessenvertretungen für Menschen mit Behinderungen, das Pflegegeldsystem auf solide Beine zu stellen, um die Finanzierung nachhaltig sicher zu stellen.
Kritisch anzumerken ist, dass die im Entwurf enthaltenen Änderungen ohne Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen entwickelt wurden und dieser Entwurf eine äußerst unerfreuliche Überraschung für Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen darstellt.
Der KOBV Österreich fordert ausdrücklich, die geplanten Verschlechterungen bei den Pflegegeldstufen 1 und 2 zurückzunehmen und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Partizipation Verhandlungen mit allen Beteiligten (Bund, Länder, Seniorenrat, Interessenvertretungen für Menschen mit Behinderungen, Hilfsorganisationen) aufzunehmen und die zum größten Teil bereits vorliegenden Expertenvorschläge zu einem Reformpaket zu schnüren, das den Namen tatsächlich verdient.
Eckpfeiler einer entsprechenden Reform müssen jedenfalls sein:
- nachhaltige Finanzierung des Pflegevorsorgesystems (z.B. verbindliche Festlegung des erforderlichen Steuergeldvolumens im Verhältnis zum BIP; Abgehen vom ausschließlich budgetfinanzierten System zu einem komplementären gesetzlichen Versicherungssystem, u.ä.) In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass in Österreich zwar Vorsorge für besondere Lebenssituationen, wie z.B. Unfall, Krankheit und Alter getroffen wurde, eine entsprechende solidarische Finanzierung des Risikos der Pflegebedürftigkeit jedoch nach wie vor fehlt.
- regelmäßige gesetzlich vorgesehene Anpassung der Pflegegelder zumindest um den Wert der Inflationsrate; - Vereinheitlichung und Transparenz im Leistungs/Preisverhältnis bei Sachleistungen;
- Festlegung von einheitlichen und transparenten Leistungsstandards im Bereich der ambulanten und stationären Pflege (Erarbeiten von verbindlichen Leistungsprofilen für Pflegedienstanbieter).
Der KOBV Österreich ersucht um Berücksichtigung seiner Stellungnahme.
Mit freundlichen Grüßen
Präsident Mag. Michael Svoboda
Generalsekretärin Dr. Regina Baumgartl
Kriegsopfer- und Behindertenverband Österreich