Betrifft: GZ:
BMASGK-21119/0004-II/A/1/2018
Entwurf eines
Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes
Stellungnahme des KOBV
Österreich
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir erlauben uns, zu o.g.
Entwurf nachstehende Stellungnahme zu erstatten, wobei wir den Fokus
insbesondere auf die Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen legen:
Grundsätzliche Anmerkungen
zur geplanten Strukturreform in der Sozialversicherung:
Im Regierungsprogramm wird
unter dem Titel „Reform der Sozialversicherungen“ u.a. wie folgt ausgeführt:
„Um leistungsfähige, moderne und bürgernahe Sozialversicherungen zu
gewährleisten, ist es unser Ziel, für jetzt schon eingehobene, gleiche Beiträge
den Menschen auch österreichweit die gleichen Leistungen anbieten zu können.“
In einem Ministerratsvortrag vom 23.5.2018 wird zur
Sozialversicherungsorganisation der Zukunft u.a. wie folgt ausgeführt: „Die
Sicherung und der weitere Ausbau unseres hochwertigen Gesundheitssystems
erfordern Initiativen, die den Bedarf und die Bedürfnisse der Patienten, die
Qualität der Versorgung sowie die Effizienz und Effektivität der Verwaltung in
den Mittelpunkt des Handelns stellen.“
Grundsätzlich entsprechen diese
Zielsetzungen den langjährigen Forderungen der Interessenvertretungen von
Menschen mit Behinderungen und werden diese Vorhaben ausdrücklich von uns
begrüßt. Zu bezweifeln ist jedoch, ob das geplante Reformvorhaben geeignet ist,
diese Zielsetzungen tatsächlich auch zu verwirklichen. Eine entsprechende
Beurteilung ist anhand des vorgelegten Entwurfes nicht möglich, da die
fusionsbedingten Aufwendungen, die insbesondere in den Jahren 2019 bis 2022 schlagend werden, zwar in den
Erläuterungen namentlich aufgezählt, die Höhe dieser Mehrkosten jedoch in
keiner Weise beziffert werden.
Zu befürchten
ist daher, dass die tatsächlichen Kosten dieser Verwaltungsreform letztendlich
nicht zu den gewünschten Einsparungen im Verwaltungsbereich führen werden, was
zu Verschlechterungen für die Versicherten in Form von Einführung von
Selbstbehalten und Leistungskürzungen führen könnte.
Einsparungen,
die zu Lasten der Versicherten gehen, werden von uns ausdrücklich abgelehnt.
Österreich
verfügt über eines der besten Gesundheitssysteme in Europa und sollte dieses
und die soziale Sicherheit in unserem Land nicht durch voreilige Reformvorhaben
und Zerschlagung eines an sich funktionierenden Systems der Sozialversicherung
gefährdet werden. Gefordert wird daher, zunächst die Kosten einer entsprechenden
Fusionierung valide zu bewerten, um die Finanzierbarkeit und damit
Sinnhaftigkeit einer entsprechenden Reform beurteilen zu können.
Verfassungsrechtliche
Bedenken gegen die Einschränkung der Selbstverwaltung in der
Sozialversicherung:
Die Selbstverwaltung
in der Sozialversicherung hat sich sehr bewährt und soll auch unangetastet
bleiben. Der Entwurf enthält jedoch sehr weit gehende Beschneidungen der
Autonomie der Selbstverwaltungskörper, die im Hinblick auf die Art. 120 a bis
120 c B-VG verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen.
Im Entwurf
sind sehr weitgehende Erweiterungen des Aufsichtsrechts des Bundes enthalten.
So ist z.B. im § 30 a Abs. 2 ASVG vorgesehen, dass der Dachverband die
Vorbereitung der Richtlinien nach Abs. 1 mit Beschluss der Konferenz zur Gänze
oder zum Teil auf einen oder mehrere Versicherungsträger übertragen KANN. Wenn
und soweit der Dachverband die Vorbereitung bis zum Ablauf des 30.6.2021 nicht
überträgt, kann die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz
Übertragungen mit Verordnung vornehmen. Die Verordnungsermächtigung bedeutet
somit doch ein „MUSS“ für den Dachverband. Entsprechende
Verordnungsermächtigungen sind in den § 30 b Abs. 3 und § 30 c Abs. 3 ASVG
vorgesehen. § 449 Abs. 4 ASVG sieht vor, dass auf Verlangen der
Aufsichtsbehörde Punkte von der Tagesordnung abzusetzen sind. § 456 a Abs. 4
ASVG bestimmt, dass die BM für Arbeit, Soziales, Gesundheit und
Konsumentenschutz für den Verwaltungsrat und die Hauptversammlung
Mustergeschäftsordnungen aufzustellen hat. Auch Dienstpostenpläne der
Führungsebene bedürfen künftig der Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 432 Abs.
5 ASVG). Die Selbstverwaltung scheint damit weitgehend abgeschafft.
Fragwürdig ist
auch die geplante paritätische Zusammensetzung der Verwaltungskörper der ÖGK
und der PVA. Die Neufassung des § 426 Abs. 1 ASVG sieht diesbezüglich vor,
dass sich diese je zur Hälfte aus VertreterInnen der DienstnehmerInnen und VertreterInnen der DienstgeberInnen
zusammensetzen. Die geltende ASVG-Bestimmung sieht bei der PVA zwei Drittel
DNvertreterInnen und ein Drittel DGvertreterInnen (§ 426 Abs. 1 Z 1) und bei
den Gebietskrankenkassen vier Fünftel DNvertreterInnen und ein Fünftel
DGvertreterInnen (§ 426 Abs. 1 Z 3) vor. Es findet somit eine deutliche
Verschiebung der Machtverhältnisse in Richtung der ArbeitgeberInnen statt, die
nicht der Verhältnismäßigkeit entspricht und damit sachlich in keiner Weise
gerechtfertigt ist. Es ist zu befürchten, dass die Interessen der versicherten
ArbeitnehmerInnen bei Entscheidungen der Verwaltungskörper nicht mehr
ausreichend Berücksichtigung finden. Eine Begründung für die vorgenommene
Änderung lässt sich den Erläuterungen nicht entnehmen.
Eine
entsprechende paritätische Besetzung ist jedenfalls bei den Verwaltungskörpern
der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau
nicht vorgesehen (§ 138 B-KUVG).
Das
halbjährliche bzw. jährliche Rotationsprinzip in der Vorsitzführung in
den Verwaltungskörpern der Pensionsversicherungsanstalt und der
Österreichischen Gesundheitskasse sowie des Dachverbandes (§ 430 Abs. 3a und §
441 a Abs. 4 ASVG) widerspricht den Grundsätzen wirtschaftlicher
Unternehmensführung und lässt befürchten, dass die fehlende Leitungskontinuität
sich negativ auf längerfristige Prozesse und Projekte auswirkt.
Auch die
vorgesehene Eignungsprüfung für VersicherungsvertreterInnen durch eine
Prüfungskommission, deren Mitglieder von der Bundesministerin für Arbeit,
Soziales Gesundheit und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit dem
Bundesminister für Finanzen bestellt werden (§ 420 Abs. 6 Z 5 und Abs. 7 ASVG)
stellt eine bedenkliche Einschränkung der Selbstverwaltung dar.
Zur
Abschaffung der Beiräte in den Versicherungsträgern:
Das Vorhaben,
die Beiräte in den Versicherungsträgern abzuschaffen und damit die
SeniorInnenvertreter und VertreterInnen von Menschen mit Behinderungen von
einer Mitentscheidung im Rahmen der Selbstverwaltung auszuschließen, wird
ausdrücklich abgelehnt.
Ziel der mit
der 52. ASVG-Novelle im Jahr 1994 geschaffenen Einführung von Beiräten bei den
Versicherungsträgern war, die Effizienz und Versichertennähe bei der
Vollziehung der Sozialversicherung zu steigern. Die Beiräte haben die Aufgabe,
die Anliegen der Versicherten und der LeistungsbezieherInnen in den jeweiligen
Gremien zu vertreten und Ihr Fachwissen einzubringen. Darüber hinaus haben die
Vorsitzenden bzw. StellvertreterInnen des jeweiligen Beirates das Recht, an den
Sitzungen der Gremien der Sozialversicherung mit beratender Stimme teilzunehmen
und Anträge und Stellungnahmen im zuständigen Verwaltungskörper einzubringen (§
440 Abs. 5 und 6 ASVG geltende Fassung). Die Beiräte leisten mit Ihrem Expertenwissen und ihren
Erfahrungen aus der Praxis einen wesentlichen Beitrag im Interesse der von
Ihnen vertretenen Gruppen und stellen sicher, dass die Anliegen von Menschen
mit Behinderungen und SeniorInnen auch entsprechend gewahrt werden. Die
geplante Beschneidung der Interessen von Menschen mit Behinderungen und
SeniorInnen in der Selbstverwaltung ist diskriminierend,
demokratiepolitisch bedenklich und verfassungswidrig, da sie dem Grundsatz des
Art. 120 c Abs. 1 B-VG und dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Die
Abschaffung der Beiräte wäre eine sachlich in keiner Weise zu
rechtfertigende Abkehr vom Prinzip der Versichertennähe und ein gewaltiger
Schritt zur Entfremdung der Selbstverwaltung von den Versicherten und ihren
Bedürfnissen.
Der von den
Medien publizierten Aussage von Regierungsvertretern, dass mit der geplanten
Reform eine „Funktionärsmilliarde“ eingespart werden soll, ist
entgegenzuhalten, dass die Funktion als Beiratsmitglied ein Ehrenamt darstellt
und lediglich ein Anspruch auf Ersatz der Reise- und Aufenthaltskosten sowie
auf Sitzungsgeld in Höhe von derzeit € 42,-- besteht (§ 440 a Abs. 5 ASVG
geltende Fassung). Die Einsparungseffekte durch die Abschaffung der Beiräte
wären somit als ausgesprochen gering anzusehen.
Ausdrücklich
gefordert wird daher, den Entwurf dahingehend zu ändern, dass
SeniorInnenvertreter und VertreterInnen von Menschen mit Behinderungen
weiterhin in allen Gremien der Sozialversicherung zumindest mit beratender
Stimme vertreten sind.
Zum
inhaltlichen Reformbedarf in der Sozialversicherung:
Leistungsharmonisierung:
Dringend
erforderlich wäre es, Versicherten unabhängig von ihrem Versichertenstatus und
unabhängig von der Art und Ursache der Behinderung die wirkungsvollsten
Leistungen anzubieten. Im Bereich der Gebietskrankenkassen ist eine weitgehende
Harmonisierung in den letzten Monaten bereits umgesetzt worden und gilt es
diese abzuschließen. Große Unterschiede zu den Beamten und den Selbständigen
sind jedoch nach wie vor gegeben und sind von der gegenständlichen Reform
leider diesbezüglich keine entsprechenden Verbesserungen zu erwarten.
Rechtsanspruch
auf umfassende Maßnahmen der Rehabilitation:
Reformbedarf
ist insbesondere im Bereich der Rehabilitation gegeben. Ein gutes Gesundheits-
und Rehabilitationssystem ist gerade für Menschen mit Behinderungen von enormer
Wichtigkeit. Viele Leistungen, die für Menschen mit Behinderungen essentiell
sind, werden jedoch nicht als Pflichtleistungen im Anspruchsweg gewährt und werden deshalb als freiwillige Leistungen oft aus
finanziellen Erwägungen nicht erbracht bzw. muss wegen nicht leistbarer
Selbstbehalte darauf verzichtet werden. Dringend erforderlich wäre es daher,
einen einheitlichen und rechtlich durchsetzbaren Zugang zu Maßnahmen der
umfassenden Rehabilitation zu gewähren.
Ausbau der
flächendeckenden und barrierefrei zugänglichen medizinischen Versorgung:
Eine Reihe von
Gesundheitseinrichtungen sind nach wie vor nicht barrierefrei zugänglich und
ist das Angebot an barrierefreier Inanspruchnahme (z.B. im
Kommunikationsbereich) dringend ausbaubedürftig.
Wir ersuchen
um Berücksichtigung unserer Stellungnahme.
Mit
freundlichen Grüßen
Präsident Mag.
Michael Svoboda
Generalsekretärin
Dr. Regina Baumgartl
Kriegsopfer-und Behindertenverband Österreich